OSTEXPANSION. Wie sich die aktuelle Lage für Investoren in Russland darstellt, ob das Vergaberecht transparent und überprüfbar ist und was sich ändern wird, dazu der Experte Michael Schwartz aus Moskau!
Russland ist mittlerweile einer der zukunftsträchtigsten Wachstumsmärkte für österreichische Unternehmen. Gleichzeitig genießt das Land in Punkto Korruption einen gleichbleibend schlechten Ruf und landet in den einschlägigen Statistiken regelmäßig auf den letzten Plätzen.
Besonders vor diesem Hintergrund spielt das Vergaberecht in Russland eine wichtige Rolle. Zum erklärten Ziel der Schaffung von mehr Transparenz im Vergabeverfahren und zur Erhöhung der Effizienz bei der staatlichen Auftragsvergabe wurde im Jahr 2005 ein modernes Vergaberecht geschaffen (insbesondere das Vergabegesetz Nr. 94 vom 21. Juli 2005). Nach diesem Gesetz gelten die Vergaberegeln für alle aus dem Haushalt finanzierten Institutionen auf föderaler, regionaler und kommunaler Ebene.
Das Vergabegesetz sieht dabei sehr strenge und wenig flexible Regelungen vor, die sich in der Praxis jedenfalls nicht für langfristige und komplexe internationale Investitionsvorhaben eignen. So lässt das Vergabegesetz keine Verhandlungen der Bieter mit der ausschreibenden Stelle zu und sieht zu kurze Fristen zum Abschluss der endgültigen Verträge nach Beendigung der Ausschreibung vor. Die wesentlichen Bedingungen des angebotenen Vertrages können nicht geändert werden. Bei Investitionsprojekten können andere Kriterien als der Preis (insbesondere die Seriosität des Bieters) nur zu einem sehr geringen Teil berücksichtigt werden.
Entsprechend wurde versucht, für einzelne Bereiche geeignetere Vergaberegeln festzulegen. Insbesondere für Konzessionsprojekte gilt seit August 2005 ein abweichendes und flexibleres Vergabeverfahren. Insbesondere sind bei Konzessionen Verhandlungen mit dem Bieter und -in gewissem Umfang - Änderungen des Konzessionsvertrages möglich. Darüber hinaus haben in der Zwischenzeit bereits mehr als 40 Subjekte der Russischen Föderation eigene Gesetze für das Ausschreibungsverfahren bei Private-Public-Partnerships (PPPs) erlassen, um insbesondere im Infrastrukturbereich die Beteiligung ausländischer Bieter zu erleichtern. Diese Gesetze sind zum Teil liberaler als das Konzessionsgesetz (ein entsprechendes Spezialgesetz gilt unter anderem in St. Petersburg. In Moskau wird derzeit über den Abschluss eines solchen Gesetzes beraten).
TRANSPARENZ. Insgesamt ist der Trend zu beobachten, für internationale Projekte (insbesondere PPP-Projekte) ein transparentes und praktikables Verfahren zu schaffen, das die Beteiligung großer internationaler Unternehmen ermöglicht. In solchen Projekten wird auch in der Praxis mittlerweile großer Wert darauf gelegt, dass das Vergabeverfahren tatsächlich europäischen Standards entspricht. Derzeit werden weitere Gesetze diskutiert, die eine größere Transparenz im Vergabeverfahren schaffen und den Zugang ausländischer Anbieter erleichtern sollen, um so die in einigen Bereichen noch vorhandene Dominanz russischer monopolistischer Anbieter zu durchbrechen. Insbesondere wird über ein sogenanntes "Föderales Vertragsvergabesystem" beraten, das das alte Vergaberecht ersetzen soll. Zielrichtung ist unter anderem, bei komplexen Projekten Gespräche mit der ausschreibenden Stelle zu ermöglichen und nicht preisbezogenen Faktoren mehr Gewicht zu geben (bisher gab es in der Praxis häufig damit Probleme, dass unseriöse Firmen zu Dumpingpreisen Aufträge erhalten, diese aber nicht ordnungsgemäß ausgeführt haben).
Für den potentiellen Investor ist daher zumindest bei komplexeren Projekten zunächst zu prüfen, welche Vorschriften zur Ausschreibung entsprechender Projekte am Investitionsstandort gelten. Sofern das Vergabegesetz anwendbar ist, sollte wenn möglich versucht werden, im Vorfeld mit der ausschreibenden Stelle zu klären, ob die vorgeschlagene Dokumentation den Markterfordernissen entspricht und umsetzbar ist. Hierzu kann es sinnvoll sein, mit lokalen Partnern zusammen zu arbeiten, die über die entsprechenden Kontakte zur ausschreibenden Stelle verfügen.
AUSDEHNUNG. Im Juli diesen Jahres ist ein weiteres Gesetz in Kraft getreten, das den Anwendungsbereich des Vergaberechts nunmehr auch auf solche Unternehmen ausdehnt, an denen der Staat mehrheitlich beteiligt ist oder die vom Staat kontrolliert werden. Dies schließt auch Tochterunternehmen solcher Gesellschaften ein. Durch dieses Gesetz, das am 1. Januar 2013 in Kraft tritt, wird sich der Anwendungsbereich des Vergaberechts in der Praxis erheblich erweitern. Das Gesetz sieht vor, dass die betreffenden Unternehmen bis zum 1. Januar 2012 eigene Vergaberegeln zu verabschieden und zu veröffentlichen haben.
Künftig wird sich ein Vertragspartner dieser Unternehmen also zunächst darüber informieren müssen, welche Kriterien für die Ausschreibung jeweils festgelegt sind.
UNWIRKSAMKEIT DES VER-TRAGES. Im Unterschied zu anderen Ländern sieht das russische Recht im Falle einer Verletzung der Vergabevorschriften eine Unwirksamkeit des mit dem Bieter abgeschlossenen Vertrages vor. Jeder Teilnehmer der Ausschreibung kann eine Beschwerde bei dem zuständigen Aufsichtsorgan (dem Föderalen Antimonopoldienst der Russischen Föderation, "FAS") oder eine Anfechtungsklage gegen den abgeschlossenen Vertrag erheben. Während die Frist für eine Beschwerde so kurz bemessen ist, dass in der Regel eine Aussetzung der Auftragsvergabe bis zur Klärung der Ungereimtheiten erfolgen kann, beträgt die Frist für eine Anfechtung 1 Jahr ab dem Zeitpunkt, zu dem der Anfechtende von der Verletzung Kenntnis erlangt oder Kenntnis hätte erlangen müssen.
Entsprechend trägt der obsiegende Bieter praktisch das Risiko für Verletzungen des Vergaberechts durch die ausschreibende Stelle. Die für die Anfechtung festgelegte lange Frist schafft darüber hinaus ein zeitlich schwer einzuschätzendes Risiko.
In der Praxis bedeutet dies, dass Bieter die Ordnungsgemäßheit des von der ausschreibenden Stelle vorgeschlagenen Vergabeverfahrens selbstständig überprüfen sollten, um diese erheblichen Risiken auszuschalten. Dies gilt gerade in solchen Fällen, in denen die ausschreibende Stelle wenig Erfahrung mit Ausschreibungen hat. Bei bankenfinanzierten Projekten wird auch die finanzierende Bank in der Regel vor der Kreditvergabe überprüfen, ob das Vergabeverfahren den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat.
KONSEQUENZEN. Wenngleich der ausschreibenden Stelle kein nennenswerter Vermögensschaden droht, können Verstöße gegen das Vergabeverfahren für die dortigen Beteiligten gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen haben. Deshalb besteht die Gefahr, dass in manchen Fällen die ohnehin nicht besonders flexiblen Regelungen dann noch übervorsichtig ausgelegt werden, was dazu führen kann, dass Projekte praktisch nicht mehr umsetzbar sind.
Ein zahnloser Tiger ist das russische Vergaberecht im übrigen beileibe nicht: Im Jahre 2009 wurden immerhin mehr als 27.000 Beschwerdeverfahren bezüglich unzulässiger Vergabepraktiken beim FAS eingereicht. Beinahe die Hälfte der aufgenommenen Verfahren führte zu entsprechenden Maßnahmen des FAS bis (in seltenen Fällen) hin zur gerichtlichen Unwirksamkeitserklärung der entsprechenden Verträge.
Unabhängig von der aus unserer Sicht richtigen Zielrichtung und der positiven Tendenzen bei der weiteren Entwicklung des russischen Vergaberechts bleibt festzustellen, dass die Risiken bislang im Wesentlichen den Investor treffen. Entsprechend aufwändig kann im Einzelfall die Prüfung des Verfahrens sein.
VORSCHAU. Ab 1. Januar 2012 wird sich dieses Problem aller Voraussicht nach nochmals verschärfen, da eine Vielzahl von Unternehmen, die zuvor nicht den Regeln des Vergaberechts unterworfen sind, nunmehr ebenfalls von der gesetzlichen Regelung erfasst werden. Es wird also künftig vermutlich noch schwieriger für den Investor sein, die Zulässigkeit der jeweils angewandten Verfahren und der zugrunde liegenden Bewertungen der Kriterien zu überprüfen. Die derzeit geltenden Regelungen des russischen Vergaberechts sind auf dem Weg zu mehr Transparenz und zur Bekämpfung der Korruption sicherlich hilfreich und sinnvoll. Für den Investor in Russland sind sie es jedoch nicht unbedingt.
Michael Schwartz
Quelle: WirtschaftsBlatt